LiSyM erforscht, wie Gene die NAFLD beeinflussen

LiSyM erforscht, wie Gene die NAFLD beeinflussen

Seit mehr als 10 Jahren beschäftigt sich Professor Dr. med. Frank Lammert mit der Genetik von Lebererkrankungen, einschließlich der NAFLD. „Bei ihrer Entstehung und Progression haben wir viele individuelle Unterschiede beobachtet, die sich nicht durch äußere Faktoren erklären lassen“, sagt der LiSyM-Forscher und Direktor der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums des Saarlandes in Homburg. Die „äußeren Faktoren“ von NAFLD sind hauptsächlich im Lebensstil in den Industrienationen zu finden: Die kalorienreiche „westliche Diät“ gilt als entscheidender Risikofaktor für viele Stoffwechselstörungen wie der NAFLD. „Aber Gene sind hier ebenfalls wichtige Einflussfaktoren“, betont Lammert.

PNPLA3 begünstigt die Entstehung der Fettlebererkrankung und schwere Verläufe

Das Gen, über dessen Einflüsse auf NAFLD die Systemmediziner derzeit am meisten wissen, ist PNPLA3. Es kodiert für das Patatin-ähnliche Phospholipase-Domänen-haltige Protein 3. Es ist mit den Lipidkörpern assoziiert und katalysiert die Hydrolyse von Triglyzeriden. PNPLA3 kursiert auch unter anderen Namen wie Adiponutrin. Viele Menschen haben im PNPLA3-Gen die Punktmutation I148M. „Es ist ein häufiges Allel“, sagt Lammert, „und etwa 50 Prozent der europäischen Bevölkerung tragen es, rund 5 Prozent sogar homozygot, also doppelt.“

Bei I148M ändert der Austausch eines genetischen Buchstabens die Aminosäure an Position 148 des PNPLA3-Enzyms. „Diese Variante begünstigt, dass sich Fettlebererkrankungen entwickeln und einen ungünstigen Verlauf nehmen“, so der Experte. Das Risiko für NAFLD und eine Steatohepatitis (NASH) verdoppelt und verdreifacht sich. Ebenso erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Leberfibrose, für Leberzirrhose und – egal, ob eine alkoholische oder nicht-alkoholische Fettleber vorliegt – das für ein hepatozelluläres Karzinom, kurz HCC, um mehr als 50 Prozent.

Wie PNPLA3 das bewirken könnte, wird aktuell vom den LiSyM-Forschern modelliert. Das Protein kommt in Hepatozyten und Fettzellen (Adipozyten) vor und nimmt offenbar an der Regulation des Abbaus und der Produktion von Fetten teil – an der Lipogenese und Lipolyse. Weitere genetische Risikofaktoren wie beispielsweise MBOAT7, die LiSyM ebenfalls untersucht, modulieren die Effekte von PNPLA3.


Für alle Stadien und Komplikationen gibt es genetische Prädispositionen

„Für alle Stadien und Komplikationen sind genetische Prädispositionen identifiziert worden“, sagt Lammert. Hinweise, dass sie bestimmte Phasen der NAFLD beeinflussen können, existieren für mehr als ein Dutzend Gene. „Patienten mit Risikovarianten wollen wir möglichst schon präventiv behandeln“, so der Klinikdirektor. Ärzte könnten diese Risikopatienten gezielter überwachen und Behandlungen genau zum richtigen Zeitpunkt einleiten – wenn sich Verschlechterungen gerade anbahnen, und nicht erst, wenn sie bereits eingetreten sind: „Dazu müssen wir die Progression der Erkrankung mit Hilfe von Modellsystemen immer besser verstehen.“

Den richtigen Weg zur Optimierung und Personalisierung bei der Diagnose, Verlaufskontrolle und präventiven Therapie sieht Lammert in großen klinischen Studien, die Erkenntnisse aus drei Gebieten vereinen: aus der Klinik, der Modellierung molekularer Phänotypen und der Sequenzierung kompletter Patientengenome. „Dazu brauchen wir ausreichend Ressourcen, die wir geschickt fokussieren müssen“, betont der Fachmann. Noch fließt das Wissen um die Genetik der NAFLD primär in Experimente und Pilotstudien ein. Doch auch bei den Therapien hat die genetische Forschung frische Impulse gesetzt, wie Lammert am Beispiel des NOD2-Gens demonstriert.


NOD2-Varianten erhöhen das Sterberisiko bei Zirrhose

Zum Einfluss von Varianten von NOD2 (Nucleotide-binding oligomerization domain 2) bei Zirrhose hat er kürzlich mit Dr. med. Matthias Christian Reichert, einem Oberarzt der Klinik, eine Studie veröffentlicht. Danach machen NOD2-Risikovarianten die Patienten mit Leberzirrhose empfänglicher für bakterielle Infektionen!“ Solche Infektionen sind häufig und lebensgefährlich. Sie tragen sehr oft dazu bei, dass es bei Zirrhose-Patienten zu einem akuten-auf-chronischem Leberversagen (ACLF) kommt. Bakterielle Infektionen können ebenso bedrohliche Komplikationen beim ACLF sein.

Wenn ein ACLF eintritt, reichen die Ausgleichs- und Reparaturmechanismen der Leber bei chronischen Erkrankungen oder Zirrhose plötzlich nicht mehr aus. Diese Dekompensation führt zum Organversagen. Die Sterblichkeit nimmt erheblich zu – und sie steigt noch mehr, wenn bakterielle Infektionen auftreten, etwa eine Bauchfellentzündung (Peritonitis). „Für diese haben Patienten mit bestimmten NOD2-Varianten ein besonders hohes Risiko“, so Lammert, „Vielleicht können bei ihnen Bakterien leichter die Darmwand durchdringen?“ Peritonitis-Verursacher kommen oft aus dem Darm.

Wie alle anderen Patienten erhalten jene mit ungünstigen NOD2-Varianten aktuell häufig noch Antibiotika bei Infektionen. „Inzwischen versuchen wir die Infektionsneigung mit Derivaten von Gallensäuren deutlich zu senken“, erklärt der Mediziner. Die Mittel sind verträglicher für die Patienten. Aber Lammert hat weitere Ziele: „Wir wollen diese Infektionen unterdrücken und das akute-auf-chronische Leberversagen verhindern!“


Neue Ansätze für Risikopatienten

Doch hier und an vielen anderen Punkten gibt es nach wie vor unzählige offene Fragen, so beim HCC. „Da schauen wir nur zu“, bedauert der Klinikdirektor. Die Forscher postulieren, dass schwer erkrankte Patienten eine Art „Umschlagspunkt“ erreichen, ab dem sich unweigerlich Krebs aus der Entzündung entwickelt: „Dieser Punkt ist bisher unzureichend definiert.“ Welche Genvarianten zeichnen diese Patienten aus? Welches spezielle Vorläufermilieu herrscht in ihrer Leber? „Das müssen wir erforschen“, fordert Lammert, „Schließlich wollen wir dahin kommen, dass erst gar kein HCC mehr entsteht.“ Anfänglich hat sich LiSyM noch nicht mit Krebs befasst. Mittlerweile arbeiten LiSyM-Wissenschaftler intensiv daran und möchten diese Forschung fortsetzen. „Dazu läuft gerade ein Antrag auf Förderung“, erzählt Frank Lammert und hebt hervor: „Die systemmedizinische Forschung zu Lebererkrankungen hat schon viele Fortschritte ermöglicht. Aber ihr volles Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.“

Reichert, MC, Ripoll, C, Casper, M, Greinert, R , Vandieken, E, Grunhage, F, Appenrodt, B, Zipprich, A, Lammert, F (2019) Common NOD2 Risk Variants as Major Susceptibility Factors for Bacterial Infections in Compensated Cirrhosis. Clinical and Translational Gastroenterology 2019;10:1–9.


LiSyM: Drei Forschungsbereiche – Entstehung, Progression und Komplikationen

Die genetische Forschung in LiSyM lässt sich drei Bereichen zuordnen. Einer konzentriert sich auf die Entstehung der Erkrankung. „Manche Menschen sind durch ihr genetisches Profil überdurchschnittlich anfällig für eine Fettleber“, erklärt Medizinprofessor Dr. Frank Lammert. Neben PNPLA3 tragen dazu beispielsweise Varianten der Gene TM6SF2 und MBOAT7 bei.

Der zweite Bereich befasst sich mit dem Verlauf der Erkrankung. „Einige Patienten bekommen beispielsweise eher eine NASH als vergleichbare Betroffene“, nennt Lammert ein Beispiel. Hier sind ebenfalls die Genvarianten ursächlich, die das Fortschreiten der Erkrankung zu der Steatohepatitis begünstigen. Andere Varianten wirken sich ungünstig auf das Risiko für Komplikationen und Infektionen aus – etwa jene des NOD2-Gens.

„Gene können auch den Transport und Abbau von pharmazeutischen und toxischen Substanzen in der Leber verändern und so beeinflussen, wie gut Therapien anschlagen“, sagt Lammert. Als Beispiel nennt er das Transportergen ABCB4 der Leber, an dem Dr. Ersin Karatayli aus seiner Arbeitsgruppe forscht. Unterschiede im Stoffwechsel von Substanzen können Wirkungen verstärken, abschwächen, verkürzen oder verlängern. Auch Nebenwirkungen können schwerer ausfallen. Im ungünstigsten Fall fügen Medikamente, die sonst unbedenklich sind, dem vorgeschädigten Organ von NAFLD-Patienten ernste Schäden zu. Darum widmet sich der dritte Forschungsbereich der Bedeutung der Genetik für das Ansprechen auf neue Therapien.
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