Toxine verändern Leistungen der Leber individuell

Bei akutem Gallenstau bewahrt sich das Organ selbst vor großen Schäden

Der Toxikologe Dr. Ahmed Ghallab, Junior Group Leader im LiSyM-Netzwerk vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), hat beobachtet: Chronische Leberschäden durch Toxine beeinträchtigen den Abbau von Medikamenten. Übliche Dosen können zu giftigen Überdosen werden. Ein anderes Projekt hat Ghallab, der auch Associate Professor an der ägyptischen South Valley Universität ist, 2019 den GASL-Preis der YAEL-Stiftung eingebracht. Er konnte grundlegende Mechanismen der akuten Cholestase aufklären – unter anderem durch ein Verfahren für intravitale Zwei-Photonen-Mikroskopie, das er entwickelt hat.


Cholestase – Stau von Gallenflüssigkeit in der Leber. Akute Cholestase kann eintreten, wenn Gallengänge durch Gallensteine verschlossen sind oder durch Tumore der Bauchspeicheldrüse verengt.
Intravitale Mikroskopie – Techniken, mit denen Fachleute beobachten können, was in den Zellen und zwischen den Zellen lebender Organismen geschieht.
Toxische Lebererkrankung – Substanzen können in der Leber schnell oder langsam Schäden verursachen wie Fibrose, Zirrhose, akutes Leberversagen und Krebs. Als Auslöser sind gewisse rezeptfreie und verschreibungspflichtige Medikamente, pflanzliche Substanzen, Reinigungsmittel, Pestizide und andere Chemikalien bekannt.
Hepatozyten – die Leberepithelzellen machen rund 80 Prozent des Lebervolumens aus. Sie übernehmen die meisten Stoffwechselaufgaben des Organs.
Perizentral, periportal – Hepytozyten, die nahe an einer Zentralvene liegen heißen perizentral oder perivenös, jene nahe von einer Pfortader periportal. Je nachdem, in welcher Zone sie liegen, erfüllen Hepatozyten teils unterschiedliche Aufgaben.
Cytochrom p450, CYP – Enzyme, die in allen Organen, aber hauptsächlich in der Leber vorkommen. Sie verarbeiten dort viele Substanzen. Ebenso können viele Substanzen die Aktivität von CYP hemmen oder stimulieren.
PBPK Modelle – in physiologisch basierte pharmakokinetische Modelle fließen Daten zur Physiologie, zu individuellen Variationen und zu Eigenschaften von Substanzen ein. PBPK Modelle erlauben präzise Vorhersagen darüber, wie ein Organismus beispielsweise Medikamente verarbeitet und darüber, wie sich zwei oder mehrere Substanzen dort gegenseitig beeinflussen.


Bei akuter Cholestase staut sich Galle in Gallenkanälchen. Die giftige Flüssigkeit greift die Membranen benachbarter Hepatozyten an und dringt in diese Zellen ein. Sie gehen zugrunde – und über einen Dominoeffekt weitere Nachbarzellen. Nach kurzer Zeit endet das Zellsterben aber. Denn die gestaute Galle macht gleichzeitig Wände umliegender Blutgefäße durchlässig. Die Flüssigkeit dringt in die Blutbahn ein und fließt aus der Leber ab. „Das verhindert ein vollständiges Organversagen“, erklärt Ghallab. Galleninfarkte, sagt er, sind seit über hundert Jahren bekannt: „Aber den Mechanismus kannte niemand.“ Er konnte ihn in einer internationalen Kooperation enträtseln. Das wertete die YAEL-Stiftung als „hervorragende wissenschaftliche Arbeit“ und verlieh Ghallab den GASL-Preis.

Zudem hat der Toxikologe festgestellt, dass sich bei Gallenstau die Gallengänge räumlich neu ordnen: „Es gibt dann eine Menge von ihnen in der perizentralen Zone, bei der gesunden Leber dagegen nur einen bis zwei in der periportalen Zone.“ Ob die Umstrukturierung betroffenen Lebern nützt oder schadet, will Ghallab als nächstes genauer untersuchen – unter anderem mit seiner Technik der intravitalen Zwei-Photonen-Mikroskopie: „Sie ist ein wichtiges Verfahren, mit dem wir ohne Vorbehandlung Videos der Leber von lebenden Mäusen machen können.“ Andere Methoden erfordern es, Proben zu nehmen und zu bearbeiten, was Artefakte verursachen kann. Zudem sind die Verfahren zu träge, um schnelle biologische Prozesse festhalten zu können. Ghallabs Technik ermöglicht bis zu 20 Lebendaufnahmen pro Sekunde.


Nur Langzeitversuche werden der menschlichen Situation gerecht

Hauptsächlich befasst sich der 35-jährige Forscher mit der Regeneration und dem Stoffwechsel der chronisch erkrankten Leber: „Mich interessiert, wie sich der Metabolismus von Medikamenten und anderen Substanzen bei Toxin induzierten Leberschäden verändert.“ Diese Zusammenhänge erforscht Ghallab am Tiermodell und mit Simulationen. Seine dreiköpfige Arbeitsgruppe löst durch Toxine wie etwa Tetrachlorkohlenstoff CCl4 krankhafte Veränderungen der Leber aus. Parallel untersucht sie, in welcher Weise sich Aktivitäten von Enzymen, die intrazelluläre Ordnung und andere Parameter verändern.

Ähnliches haben schon andere Forschungsgruppen getan, erzählt Ghallab, aber maximal über drei Monate. So ergeben sich nur wenige Spätstadien. „Das spiegelt die Situation bei Menschen nicht wieder“, sagt er. Erkrankungen führen üblicherweise erst im Spätstadium zu Symptomen. Auch erst dann gehen Betroffene zum Arzt. Ghallab hat die Expositionsdauer auf bis zu ein Jahr ausgedehnt, um mehr späte Stadien zu erhalten. In seinen Studien entwickelt sich zunächst eine leichte Fibrose in der Leber, nach vier bis sechs Monaten eine schwere und später oft noch Krebs und Zirrhose: „Der Verlauf entspricht genau dem in Menschen.“

Sirius red staining showing similar collagen levels (red) in the established mouse model and in a patient with liver cirrhosis.

Chronische Leberschäden beeinträchtigen den Stoffwechsel individuell unterschiedlich. Optimale Dosierungen von Medikamenten müssten das berücksichtigen.

Begleitende Messungen haben ergeben: Während die Leberschäden fortschreiten, sinkt die Aktivität der wichtigen Cytochrom p450 Enzyme. Später ist teils keine Aktivität mehr nachweisbar. Doch es gibt große individuelle Unterschiede. Weil Cytochrom p450 Enzyme viele Medikamente abbauen, können übliche Dosierungen für manche Leberpatienten schädliche Überdosen bedeuten. Ghallab will seine Daten bald mit denen vergleichen, die Wissenschaftler in LiSyM Pillar I an menschlichen Zellen erarbeitet haben. Er hofft auf Ansätze, wie sich Dosen von Medikamenten der tatsächlichen Stoffwechselkapazität von Patienten anpassen lassen.

„Unsere Langzeitexperimente sind einzigartig“, sagt Ghallab, „Wir konnten viele Beobachtungen machen, die vorher nicht möglich waren.“ Beispielsweise ändert sich auch die räumliche Verteilung der Cytochrom p450 Enzyme in der Leber und die Empfindlichkeit des Organs bei Toxin induzierter Zirrhose. Da zeigt sich die Leber resistent gegen erneute Gaben von bestimmten Giften. „Dafür wird sie empfindlicher für Infektionen“, so der Toxikologe. Infektionen schädigen die Darmbarriere, so dass Darmbakterien in die Leber gelangen und dort Schaden anrichten.


Funktionelle und räumliche Modelle miteinander kombinieren

Seine Befunde liefert Ghallab an den Computersystembiologen Lars Küpfer von Bayer Technology Services in Leverkusen: „Wir bauen ein Ganzkörper PBPK Modell auf, das den Stoffwechsel von verschiedenen Substanzen in verschiedenen Stadien chronischer Leberschäden abbildet.“ Sechs Stoffe wie Koffein, Codein und andere meistert das Modell bereits. Nun soll es präziser werden durch Validierungen und durch zusätzliche Substanzdaten noch wachsen. Dann wollen Ghallab und Küpfer das PBPK-Modell mit dem räumlichen Lebermodell kombinieren, das andere Mitglieder in LiSyM Pillar II entwickelt haben.

„Die Leber ist mein Traumorgan als Forscher“, sagt Ghallab, der seine Promotion in Pharmakologie und Toxikologie an der Justus-Liebig-Universität in Giessen abgeschlossen hat. Danach wechselte er ans IfADo, wo er seit 2015 eine LiSyM Junior Group leitet. „Ich möchte auf jeden Fall in der Forschung bleiben“, betont Ghallab. Er will sein Mikroskopieverfahren noch verbessern und etwa Zusammenhänge zwischen Funktionen und Störungen in Leber, Nieren und Darm untersuchen. Seine Forschung, hofft Ahmed Ghallab, wird bald Menschen helfen können, etwa durch Medikamentendosen, die sich nach der individuellen Leberkapazität richten: „So ließen sich einige Fälle von akutem-auf-chronischem-Leberversagen vermeiden, also von akutem Leberversagen nach vorbestehender Lebererkrankung.“

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