Die Fähigkeit, dass sich Fettlebern selbst heilen, bleibt lange erhalten
LiSyM Pillar I konzentriert auf frühe Ereignisse von Stoffwechselerkrankungen in der Leber. Hauptsächlich geht es darum zu verstehen, wie eine nicht-alkoholische Fettleber (Abk. NAFLD) entsteht und zu Entzündungen in dem Organ führt. Diese gelten als der Schritt, der den Übergang zur krankhaften nichtalkoholischen Steatohepatitis (Abk. NASH) markiert.
Pillar I hat viele neue Erkenntnisse über den Stoffwechsel und die Signalwege in der Leber erbracht. Daraus haben sich beispielsweise frische Ansatzpunkte für die Diagnose und für Therapien ergeben. Mehrere Tests und Therapieoptionen sind bereits patentiert. Darüber hinaus hat Pillar I eine neue Genera tion an Computermodellen entwickelt, die patientenspezifisch vorhersagen, wie gut der Stoffwechsel bestimmte Medikamente und andere Substanzen verarbeitet. Nicht zuletzt konnten Forschende den anatomischen Mikroaufbau der Leberläppchen dreidimensional rekonstruieren sowie Karten erstellen, die räumliche Unterschiede beim kompletten Satz aktiver Gene und den epigenetischen Veränderungen in der Leber abbilden. Damit hat Pillar I erfolgreich eine breite Grundlage für Innovationen in der Diagnose und Therapie geschaffen.
Epigenetik – molekulare Faktoren, die die Aktivität von Genen beeinflussen, aber nicht den genetischen Code selbst betreffen. Bekannte Beispiele sind Methylierungen an der DNA, durch die Transkriptionsfaktoren schlechter binden und ihre Zielgene schlechter ablesen können.
Epigenom – Gesamtheit der epigenetischen Methylierungen einer Zelle
Azinus, Leberazinus – kleinste funktionelle Einheit der Leber
Hepatozyten – die Leberepithelzellen machen rund 80 Prozent des Lebervolumens aus. Sie übernehmen die meisten Stoffwechselaufgaben des Organs.
mRNA – messenger RNAs sind inhaltliche Kopien von Genen, aus denen Proteine entstehen. Das Vorhandensein einer bestimmten mRNA zeigt die Aktivität des zugehörigen Gens an.
Transkriptom – Gesamtheit aller mRNAs, die eine Zelle zu einem Zeitpunkt herstellt.
Lipidom – Gesamtheit der Lipidzusammensetzung einer Zelle
Netzwerke sorgen auf mehreren Ebenen für Leberzonierung
Wenn NAFLD anfängt, verfetten manche Hepatozyten schneller als andere. Die Zellen haben auch in der gesunden Leber verschiedene Zuständigkeiten. „Ihre metabolischen Hauptaufgaben verschieben sich, je nachdem wo ein Hepatozyt in einem Azinus liegt“, erklärt Dr. Mario Brosch, Laborleiter aus der Arbeitsgruppe von Pillar I Koordinator Professor Dr. Jochen Hampe von der Technischen Universität und dem Universitätsklinikum Dresden. Azinus, oder in der Mehrzahl Azini, heißen die kleinsten funktionellen Einheiten der Leber. Fachleute unterscheiden darin mehrere Zonen: Die periportalen befinden sich nahe bei einer Pfortader, perizentrale Zonen nahe bei einer Zentralvene.
Was aber unterscheidet Hepatozyten aus verschiedenen Zonen? Dieser Frage ging eine große Pillar I Kooperation unter Hampes Leitung nach. Als Ausgangsmaterial diente Gewebe von normalgewichtigen Personen und von fettleibigen ohne NAFLD, mit NAFLD oder mit früher NASH. Ein Team um Professor Dr. med. Clemens Schafmayer an der Kieler Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie hatte die chirurgischen Proben unmittelbar nach der Entnahme eingefroren und gesammelt. Aus ihnen isolierten Forscher jeweils 100 bis 200 Hepatozyten mit verschiedenen Azini-Positionen. „So etwas ist heute durch die Laser Capture Mikrodissektion viel gezielter möglich als früher“, sagt Brosch. Die Wissenschaftler analysierten umfassend das Epigenom, also alle epigenetischen Markierungen. Sie ermittelten das Transkriptom, also alle mRNAs als Abbild der aktiven Gene, und die Häufigkeiten von Transkriptionsfaktoren, die bekanntermaßen an der Verfettung von Hepatozyten beteiligt sind.
Im Transkriptom zeigen hunderte mRNAs Häufigkeits-Gradienten: Ihre Mengen nehmen mit der Position fließend zu oder ab. Weil sich die Hauptaufgaben der Hepatozyten ähnlich zonal wandeln, hatten die Fachleute mit diesem Gradienten gerechnet. Er war von Mäusen und Ratten her bekannt. Dagegen überraschte die Entdeckung, dass es auch im Epigenom portal-zentrale Methylierungs-Gradienten gibt. Sie betreffen mehr als 17000 Stellen der Hepatozyten-DNA. Zudem spiegeln sich Methylierungen, die an Bindestellen für Transkriptionsfaktoren vorhanden sind, in der Expression der zugehörigen Gene wieder: Von solchen mit hohem Methylierunugsgrad finden sich nur wenige mRNAs, von unmethylierten viele. Dagegen ist die Häufigkeit der entsprechenden Transkriptionsfaktoren überall fast gleich. Auch das gesamte Muster der untersuchten Parameter erwies sich als annähernd identisch über alle enthaltenen NAFLD-Stadien hinweg.
Ein Modell, wissenschaftlich mehr wert als Goldstaub
Ihre finale räumliche, epigenomische Karte der menschlichen Leber veröffentlichte die Kooperation im Fachmagazin Nature Communications. „Die Zonierung im Epigenom und Transkriptom bleibt weitgehend erhalten, wenn die Leber verfettet und bis zum Beginn einer nichtalkoholischen Steatohepatitis“, zieht Brosch ein Fazit. Gesunde und anfänglich erkrankte Zellen verfügen über gleiche Fähigkeiten. Darum kann sich die Leber von frühen NAFLD-Stadien noch gänzlich erholen, wenn die richtigen Maßnahmen erfolgen. Allerdings deutet die Studie auch feine Unterschiede in der Regeneration der erkrankten und gesunden Leber an. Weiter hat sie eine klare epigenetische Zonierung der Leber gezeigt, die den Gradienten im Transkriptom zugrunde liegt. Offenbar baut ein komplexes Netzwerk mit mehreren Ebenen die Leberzonen auf und erhält sie aufrecht. Die Daten legen nahe, dass wohl ein paar bestimmte Gene dabei Schlüsselrollen spielen. Außerdem liefert die Karte Hinweise darauf, wann pharmazeutische Substanzen präferentiell in perizentralen Hepatozyten wirken könnten – also dort, wo NAFLD ihren Anfang nimmt.
„Das Modell wird mehr Daten beinhalten und mehr Forschungsbereiche abdecken, als alle anderen zuvor“, stimmt Pillar I Koordinator Hampe zu. Schon die räumliche Epigenomkarte hat viele neue Impulse gegeben. Das Gesamtmodell wird weitere liefern für die Diagnostik, Therapie und Forschung. Offen bleibt etwa die Frage, wann NASH unumkehrbar wird – wie lange Hepatozyten das Potenzial zur kompletten Regeneration behalten. „Darum werden wir uns auch Proben aus fortgeschrittenen Stadien anschauen“, nennt Hampe einen der nächsten Schritte. Er lobt ausdrücklich, wie gut die Institute und Fachdisziplinen in Pillar I vernetzt sind. „Wir haben unsere Forschung gemeinsam von Anfang super organisiert“, erklärt Jochen Hampe: „Die Zusammenarbeit unter den Beteiligten könnte kaum besser und erfolgreicher laufen!“